Auf zum Mittelpunkt der Erde

12.Etappe 24.06.23 – 02.07.23 430 km 9300 M ↑ 17 h

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Kurz nach der Grenzstadt „Ipiales“ überquerte ich die Grenze nach Ecuador. Der Grenzübertritt verlief problemlos und nach wenigen Minuten fuhr ich nun im 11. Land meiner Reise. In der nächst größeren Stadt „Tulcan“ organisierte ich erst einmal wieder eine neue Sim-Karte, wechselte mein Geld und bereitete alles für die kommenden Tage vor.

Am folgenden Morgen führte mich meine Route in den „Páramo el Angel“, einer der größten Naturreservate in den Hochlandschaften Ecuadors. Páramo bedeutet so viel wie: „schlechtes, baumfreies Land“ und ist eine Vegetationsform der baumlosen, alpinen Hochlandsteppen in den äquatornahen Gebirgen Kolumbiens, Ecuadors und Perus. Diese Hochlandschaften befinden sich auf über 3500 Metern, sind von hohen Niederschlägen und ganzjährigen Temperaturen von ca. 5 °C bis -5°C geprägt. Die Natur ist rau, unwirtlich aber absolut beeindruckend und wunderschön. Charakteristisch sind die baumlosen Flächen, die niedrigen Sträucher und vor allem die Schopfrosettenpflanze, die maximal bis zu 3 Metern hoch wird.

Beim Planen meiner Route wurde mir angezeigt, dass die Straßen teilweise geteert oder zumindest gut verdichtete Schotterwege wären. Da ich mir schon dachte, dass es etwas härter werden würde, plante ich für die nächsten 50 km genügend Zeit ein, ging aber davon aus, spätestens am frühen Nachmittag am Zielpunkt anzukommen, da nicht allzu viele Höhenmeter zu überwinden waren.

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Sobald ich aus der Stadt gefahren war, veränderte sich die Straße schlagartig in einen Schotterweg. Von einer geteerten Straße war das ganz weit entfernt, aber immerhin war es ein ordentlich befestigter Weg. Je höher ich fuhr und nachdem ich das letzte Gehöft passiert hatte, wurde die Straße zu einem Wanderpfad. Es war die ganze Zeit bewölkt und frisch aber zum Glück regnete es nicht. Noch nicht! Sobald ich auf über 3300 Metern war, fuhr ich in den Nebel und es fing zu schütten an. Bis ich diese Höhe unterquerte, was erst am Ende des Tages passierte, wollte es auch nicht mehr aufhören zu regnen. Dick eingepackt mit meinem ganzen Regenschutz ging es immer höher und wurde immer kälter.

Durch die extreme Feuchtigkeit gab es ständig Hangrutschungen und über mehrere Kilometer hinweg war der Weg teilweise komplett abgeschnitten und total schlammig. Durch tiefe Pfützen und entlang der steilen abgerutschten Hänge musste ich mein Fahrrad zum größten Teil schieben. Teilweise steckte ich tief im Schlamm fest und hatte große Schwierigkeiten das schwere Rad durch diese Stellen zu hieven. Nach mehreren Stunden abseits von der Zivilisation fiel dann auch noch mein GPS aus. Das war mir bisher auf meiner ganzen Tour noch nicht passiert. Durch den Nebel und die ganzen Regenwolken war nun nicht nur meine Sicht stark eingeschränkt, sondern auch jegliches Signal unterbrochen. Allmählich krochen Bedenken und Zweifel in mir hoch ob ich diese Tour an einem Tag überhaupt schaffen könnte. Die Eiseskälte und der Dauerregen verstärken noch die Zweifel. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass ich ein gutes Zelt und einen sehr guten Schlafsack habe. Etwas zu Essen hatte ich auch dabei, sodass ich mir eine warme Suppe hätte kochen können. Wasser gab es ja reichlich. Ich redete mir ein, mir keine Sorgen machen zu müssen, da ich spätestens am nächsten Tag wieder in der nächsten Ortschaft ankommen würde.

Zwei Stunden später schaltete sich das GPS-Gerät wieder ein und gab Lebenszeichen von sich. In dieser Zeit war ich gerade einmal 5 km vorangekommen. Viel zu langsam um vor Einbruch der Dunkelheit in der nächsten Ortschaft anzukommen. Ich musste noch ca. 10 km weiter bergauf auf 3700 Meter fahren und dann sollte es eigentlich immer nur bergab gehen. Es wurde immer kälter und auch der Regen ließ nicht nach. Immerhin war der Weg nicht mehr von Hangrutschungen unterbrochen und ich kam dadurch etwas schneller voran. Am höchsten Punkt angekommen war ein Refugio, eine Ausflugshütte, in der auch gecampt werden konnte. Leider war an diesem Tag keine Person dort und alles wie ausgestorben. An Tagen mit schönem Wetter, ist das sicher ein toller Ausflugsort für eine Wanderung im „Páramo“, aber klatschnass und durchgefroren wollte ich nur noch in eine warme und trockene Unterkunft. Also musste ich weiter.

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Die Abfahrt war aufgrund der vielen großen Steine ziemlich langsam. Gehindert durch meinen etwas eingeschränkten Gleichgewichtssinn musste häufig absteigen und die Fahrt unterbrechen. Als ob das nicht schon langsam genug wäre, wurde ich zudem einige Male von Hunden belagert. Mir wurde schon öfter berichtet, dass in Ecuador viele Hunde auf der Straße leben aber so extrem hatte ich mir das nicht vorgestellt. Sobald ich nach ein paar Kilometern abfahrt durch die ersten Bauernhöfe fuhr gab es scharenweise Hunde, die mich verfolgten und extrem aggressiv bellend ihr Revier verteidigten. Einmal waren es mindestens 10 Hunde die mich umzingelten. Wichtig ist in dieser Situation sofort vom Fahrrad abzusteigen, da die Hunde dann einen gewissen Abstand halten. Häufig fletschen sie die Zähne und bellen wie verrückt aber greifen einen nicht an. Ziemlich angespannt und im Angriffsmodus sammelte ich mehrere Steine auf und warf sie nach ihnen. Glücklicherweise zogen sie sich daraufhin ängstlich zurück und ich konnte weiterfahren Zum Schluss, als ich am Ende meiner Kraft war, nervten mich die bellenden Hunde so sehr, dass ich wahrscheinlich schon aggressiver war als sie.

Genau zum Einbruch der Dunkelheit erreichte ich sehr erleichtert die Ortschaft „El Angel“ und nahm mir zur Erholung ein Hotel mit warmer Dusche.

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Am folgenden Tag ging es wieder weit bergab in ein nahezu wüstenähnliches Tal und dann, wie sollte es auch anders sein, wieder steil bergauf in die schöne historische Kleinstadt „Otovalo“. Von hier waren es nur noch 95 km bis nach „Quito“ und zum Äquator. Am nächsten Morgen ging es erstmal wieder 1000 Höhenmeter bergauf. Auf meinem Weg fuhr ein Auto wildhupend an mir vorbei und hielt kurz vor mir an. Verwirrt was das sollte stoppte ich und ein Mann kam freudig strahlend auf mich zugelaufen. Es war Luis, den ich wenige Tage zuvor auf dem Weg nach „Pasto“ kennen gelernt hatte. Er war mit Freunden auf dem Weg nach „Quito“ für einen Wochenendtrip und erkannte mich im Vorbeifahren. Luis berichtete mir, dass sie am nächsten Tag den Park an der Äquatorline besichtigen wollten. Wie der Zufall es will, begegneten wir uns dort noch ein drittes Mal. Die Äquatorlinie verläuft im nördlichen Teil von „Quito“ im „Park Mitad del Mundo“, der Mitte der Welt. Im Zentrum befindet sich ein Turm, der direkt auf der Äquatoriallinie steht. Was für ein besonders befeuerndes Gefühl. Ich bin von Kanada aus gestartet und 13.000 km und 11 Monate später überquere ich den Äquator.

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In „Quito“ verbrachte ich zwei Tage bei der „Wamshowers“ Hostin Joanne, einer Engländerin, die einige Jahre in Deutschland nahe meiner Heimat lebte und seit mehreren Jahren in Ecuador als Englischlehrerin arbeitet. Obwohl sie keine aktive Radfahrerin ist, möchte sie gerne anderen helfen und nahm mich herzlich bei sich auf. Zusammen mit ihrer Tochter und deren Partnerin verbrachten wir einen schönen Abend.

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Nach mittlerweile 13.000 km waren meine Reifen schon ordentlich abgenutzt. Es war nun absolut notwendig diese zu wechseln. Trotz unzähliger Radgeschäfte war es schon in Kolumbien nahezu unmöglich, die passenden Tourenradreifen für mein Fahrrad zu finden. Ein Fahrradladen hatte die Reifen, welche ich brauchte, zwar nicht vorrätig, konnte sie aber bis zum nächsten Nachmittag bestellen. Am Vormittag des nächsten Tages traf ich mich mit Lizzie und Simon, dem britische Radreisepaar, welche ich schon in Nicaragua auf der Insel „Ometepe“ getroffen hatte. Da sie zufällig zur selben Zeit wie ich in „Quito“ waren, beschlossen wir zusammen die Altstadt anzuschauen und gemeinsam Mittag zu essen. „Quito“ hat eine wunderschöne historische Altstadt. Von all den Städten Lateinamerikas, die ich bisher gesehen hatte, ähnelt das historische Zentrum von der Architektur her, mehr einer südeuropäischen Altstadt. Besonders die gigantische gotische Kathedrale trägt dazu bei.

Die Stadtbesichtigung sowie das Treffen mit Lizzie und Simon waren richtig schön. Vor allem, die beiden nach den Monaten wieder zu sehen, war toll. Vielleicht begegnen wir uns nochmals im Laufe meiner Tour.

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Nach der Stadttour machte ich mich zum Fahrradladen auf, um meine neuen Reifen aufziehen zu lassen. Ich hoffe, dass ich mit diesen Reifen nun bis nach „Ushuaia“ ans Ende meiner Reise komme. Die Chefin des Ladens lud mich am Abend noch zu einem Fahrradevent in der Stadt ein. Wir trafen uns um 19 Uhr am Fahrradgeschäft und fuhren gemeinsam mit ein paar Freunden in den Süden der Stadt. Von Mal zu Mal gesellten sich weitere Radfahrer dazu und wir wurden eine stattliche Gruppe. Südlich des Stadtzentrums trafen wir dann auf eine riesige Vereinigung von Radfahrern. Insgesamt waren wir locker 500 Radfahrer und machten uns im Konvoi auf, um durch das Zentrum zu fahren. Um Aufmerksamkeit für Radfahrer zu schaffen und vor allen Dingen, die vielen ums Leben gekommenen Radfahrer zu ehren, fand dieses Treffen das erste Mal in „Quito“ statt. Die Straßen wurden gesperrt und der Auto- und Motorradverkehr für eine Zeit lang gestoppt. Bis um 12 Uhr in der Nacht fuhren alle Radfahrer durch die Straßen.

Anders als ursprünglich geplant stand für mich fest, von „Quito“ aus die Panamericana zu verlassen und mich über die Anden in die Amazonastiefebene zu begeben. Ein langersehnter Traum von mir war, einmal den Amazonas zu sehen. Vom ecuadorianischen „El Coca“ wollte ich mit einem Schiff nach „Iquitos“. „Iquitos“ ist eine Großstadt am Amazonas, die wie eine Insel tief im peruanischen Regenwald liegt und nur über den Luft- oder Wasserweg erreichbar ist.

So kam es, dass ich von „Quito“ aus nach Westen fuhr. Die berühmten Vulkane, wie den 6200 Meter hohen „Cimborazo“, würde ich auslassen müssen. Ein Amazonasabenteuer war mir das auf alle Fälle wert. Immerhin hatte ich auf dem Anstieg des 4100 Meter hohen Passes „Corpóreas QUIJOS“ einen kurzen Ausblick auf den zweithöchsten Berg Ecuadors, den 5800 Meter hohen „Cotopaxi“.

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Überaschenderweise war die Fahrt relativ problemlos. Trotz der 4100 Meter hatte ich keinerlei Probleme mit der Höhe. Das einzige Thema war die Kälte und der eisige Wind. Die Abfahrt war traumhaft schön und zog sich über 50 km hinunter. Von den kargen Hochlandschaften ging es über in den Regenwald. Parallel zu einem tief einschneidenden Tal führte die Straße. Irgendwann machte die Straße einen Knick und ich fuhr direkt auf drei gigantische Wasserfälle zu. Was für ein Schauspiel!

Am Nachmittag kam ich in „Baeza“, einer kleinen Ortschaft an und übernachtete bei den Bomberos, der örtlichen Feuerwehr. In vielen Ländern Lateinamerikas ist es Brauch, dass die Feuerwehr Reisende aufnimmt und ihnen ein Dach über dem Kopf zur Verfügung stellt. Außerdem war ich bis zum Beginn meiner Reise auch bei der freiwilligen Feuerwehr in meinem Heimatort. Stolz einen deutschen Kameraden zu Besuch zu haben, führten sie mich herum und zeigten mir das Equipment und die Fahrzeuge. Da in Ecuador nur wenig Mittel für Institutionen wie die Feuerwehr oder das Rote Kreuz vorhanden sind, werden Einsatzkleider oder Spezialequipment nur sehr selten erneuert. Meist bekommt ein Feuerwehrmann nur einmal im Laufe seiner Laufbahn seine Einsatzkleidung. Dies führt dazu, dass sie häufig mit angesenkter und geflickter Einsatzmontur losziehen, die ihnen nicht mehr den nötigen oder teilweise gar keinen Schutz bringt. Besonders erschreckend war, dass sie keine Atemschutzgeräte hatte und bei Bränden nur mit einem Tuch vor den Mund ausrücken. Der Kommandant bat mich darum, meine Kontakte in Deutschland spielen zu lassen, um möglicherweise eine Kleiderspende oder Materialspende zu veranlassen. Über ausgemustertes aber noch gut zu gebrauchendes Equipment würden sie sich sehr freuen.

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Von „Baeza“ ging es weiter bergab tief in die ecuadorianische Tiefebene. Hier gibt es nichts außer Regenwald und ganz selten eine kleine Siedlung. Nach über 150 km kam ich in der 45.000 Einwohnerstadt „El Coca“ an. „El Coca“, ursprünglich bekannt als „Puerto Francisco de Orellana“, benannt nach dem spanischen Konquistador, der als erster den Amazonas von der Quelle bis zur Mündung befahren hatte, liegt am „Rio Napo“, einem Zufluss des Amazonas und ist geprägt von der Erdölindustrie. Die Stadt ist noch sehr jung und erst durch das Erdöl, welches hier seit wenigen Jahrzehnten im Regenwald gewonnen wird, herangewachsen. Von Ecuador aus, ist das die einzige Möglichkeit über den Wasserweg den Amazonas zu erreichen.

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So geht es weiter!

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