Die Abgründe des Amazonas

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Von „El Coca“ ging es über den „Rio Napo“, einem der unzähligen Zuflüsse des Amazonas, knappe 200 km nach „Nuevo Rocafuerte“, einer kleinen Dschungel-siedlung an der Grenze zu Peru. Diese Bootsfahrt dauerte 12 Stunden. Da Trockenzeit herrschte, hatte der Fluss nur noch eine geringere Wassertiefe. Der „Rio Napo“ hatte zahlreiche Untiefen und deshalb ging es im Zick Zack Kurs vorbei an Felsen und Sandbänken. Einige Male setzte das Boot auf Grund und musste die Fahrt unterbrechen. Teilweise gab es einen starken Ruck, wenn das Boot aus voller Fahrt abgebremst wurde. Ich hatte kein sehr gutes Gefühl, da das Abbremsen mit einem ziemlich lauten Knarzen und Ächzen verbunden war. Der Kapitän war jedoch tiefenentspannt und es schien so als wäre das kein Problem für das Boot. Wenn wir auf einen Baumstamm der im Wasser trieb fuhren, was nicht immer zu vermeiden war, krachte es ziemlich und dann wurde auch der Kapitän nervös. Trotz all dieser ungeplanten Unterbrechungen blieb das Boot unbeschadet und die Schwimmwesten fanden zum Glück keinerlei Verwendung. Der „Rio Napo“ hat bei „El Coca“ schon eine Breite von 800 Metern. Wenige Kilometer dahinter treffen drei weitere Zuflüsse auf den Strom, der dann auf über 1 km Breite anwächst. Aufgemerkt! Das ist nur EINER der kleineren Zuflüsse des Amazonas, der als wasserreichster Fluss der Erde gilt. Ich war echt gespannt, den Amazonas zu sehen. Je weiter wir Fluss abwärts fuhren, umso weniger Sandbänke und Untiefen gab es und wir kamen immer schneller voran.

Ich blickte fasziniert hinaus auf den weiten Fluss und das Ufer mit dem schier unendlich wirkenden Regenwald. Ab und zu fuhr ein Frachtschiff vorbei. Häufig waren es Pontons beladen mit Tanklastern, die von den Erdölraffinerien rund um „El Coca“ kamen. In zweiter Reihe, hinter Bäumen versteckt, befinden sich riesige gerodete Areale, unter denen das „Schwarze Gold“ gewonnen wird. Wahrscheinlich will man es vor den Blicken kritischer Umweltschützer verbergen. Wer jedoch genauer hinschaut, sieht durch die Bäume die Flammen der Bohrtürme. Wir ließen die Raffinerien hinter uns und fuhren weiter Fluss abwärts. Vereinzelt waren Siedlungen am Ufer auszumachen. Nach dem Mittagessen an einer dieser Siedlungen fuhren wir noch etwa 4 Stunden weiter, bis zu unserem Ziel an der Grenze zu Peru.

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In „Nuevo Rocafuerte“ musste ich mit meinem Fahrrad das Boot verlassen und an der ecuadorianischen Emigrationsbehörde, einer kleinen Dschungelhütte, meinen Pass ausstempeln lassen. Nun ging es, in einem ziemlich schmalen Boot, „Nussschale trifft es wohl besser“, ungefähr noch eine Stunde nach „Pantoja“, der ersten Siedlung auf peruanischer Seite. Die Fahrt war bilderbuchartig. Langsam fuhren wir an Dschungelgiganten vorbei. Unzählige Vögel machten einen unheimlichen Lärm und riesige Vogelscharen schwärmten aus. Nur wenige hundert Meter weiter flogen Ara-Papageien in kleinen Formationen majestätisch über die Baumkronen. Langsam ging die Sonne unter und färbte den Fluss und die Bäume in ein tiefes Orangegelb. Das war ein fast unrealistisch wirkender Anblick und eine phantastisch, friedlich anmutende Atmosphäre. In „Pantoja“, einer verhältnismäßig einfachen Siedlung, machte ich mich auf zur Migrationsbehörde. Zu meiner Überraschung wurde ich äußerst freundlich in Empfang genommen. Einer der bisher wenigen Grenzbeamten, welche herzlich und richtig nett zu mir waren. Da hier nur wenige Menschen durchkommen und besonders wenige ausländische Reisende die dann noch mit einem Fahrrad durch die Welt reisen, war er sehr interessiert und für einen Plausch aufgeschlossen. Ich war an diesem Tag die letzte Person in der Behörde. Mit meiner Ankunft konnte der Grenzbeamte seine Arbeit beenden und führte mich zum Hafen um mir den Kapitän für das Boot nach „Iquitos“ vorzustellen, welches am nächsten Morgen um 4 Uhr aufbrechen sollte. Ich hatte ein riesiges Glück, dass alles so glattging. Der Beamte erzählte, dass die meisten Reisenden eine Nacht in „Nuevo Rocafuerte“ übernachten und erst am folgenden Tag nach „Pantoja“ kommen. Dort heißt es dann meistens geduldig zu sein, da von hier aus der Schiffverkehr nach „Iquitos“ nur sporadisch stattfindet. Es gibt ein günstiges Boot, das für die 600 km Überfahrt 3-4 Tage benötigt. Dieses fährt allerdings nur zweimal im Monat. Ich hatte das große Glück, das schnellere Boot zu ergattern, welches die Tour in 1,5 Tagen schafft. Es kostete zwar fast das Dreifache, war jedoch immer noch günstiger als 14 Tage in „Pantoja“ auf das andere Boot zu warten. Außerdem wüsste ich nicht, was ich nach zwei Tagen an diesem Ort noch hätte machen sollen. Die Nacht verbrachte ich in meinem Zelt unter dem Pavillon am Dorfplatz, um vor dem Regen geschützt zu sein. Dies wäre eigentlich nicht nötig gewesen, da die Nacht sternenklar war und der Vollmond alles wunderschön ausleuchtete. Auch die Frage nach den Moskitos, die einigen wahrscheinlich auf der Zunge brennt, ist schnell zu beantworten. In der Trockenzeit, welche dort zwischen Juni und November herrscht, gibt es nur wenige Tage mit Niederschlag und deshalb auch glücklicherweise wenige Moskitos. Auch auf dem Fluss war es sehr angenehm. Hier wehte dauerhaft eine frische Brise und es gab dadurch kaum Insekten. Sobald ich aber an Land ging, wurde es gleich um einiges schwüler und heißer und viele Moskitos surrten um mich herum. Mit gutem Antimückenspray war es aber auszuhalten. Insgesamt betrachtet war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

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Nachdem ich mein Zelt aufgebaut hatte, setzte ich mich auf eine nahegelegene Bank, um mir mein Abendessen zuzubereiten. Der Platz hatte einen tollen Blick auf den Fluss und den aufgehenden Vollmond. Jamie, der Grenzbeamte, war auch dabei und betrachtete den Abendhimmel. Er kommt aus „Iquitos“ und arbeitet abwechselnd an verschiedenen Grenzstationen im Amazonas Gebiet. Nun war er über einen Monat in „Pantoja“. Er erzählte mir, dass es einerseits wunderschön und entspannt sei so zu arbeiten, andererseits aber auch sehr langweilig und eintönig.

Er meinte, dass er irgendwann auch gerne, wie ich, reisen will um mehr seiner Passion nachgehen zu können. Er helfe sehr gerne Menschen, spreche mit ihnen über ihre Gefühle und belange und habe in der Coronapandemie eine Ausbildung zum Mediator gemacht. Dies würde er gerne noch vertiefen und mehr in psychologischer Richtung arbeiten. Immer mehr Menschen würden das sehr begrüßen und er habe schon vielen Menschen helfen können. Einfach sei es aber nicht, da hier so etwas kaum vorhanden sei und die Menschen dafür nicht sensibilisiert seien. Die Probleme werden eher unter den Tisch gekehrt oder im Alkohol ertränkt. Obwohl er schon über 50 Jahre alt sei, hoffe er, dass er einen Teil dazu beitragen kann, dass die Psychologie in der Zukunft mehr Aufmerksamkeit bekomme und er seiner Leidenschaft voll nachgehen könne. Nach unserem tollen Gespräch machte ich mich auf in mein Zelt, um noch ein bisschen zu schlafen, bevor es dann in aller Früh losgehen würde.

Ähnlich wie auf den „San Blas Inseln“ in Panama, gibt es auch hier ein großes Alkoholproblem in der Bevölkerung. Viele Männer treffen sich, um sich zu betrinken. Eine Gruppe älterer Männer grölte und trank die ganze Nacht hindurch, sodass ich so gut wie kein Auge zu bekam.

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Um 4 Uhr ging es dann los in Richtung „Iquitos“. Wir fuhren fast 2 Tage lang über 600 km flussabwärts zur Mündung des „Rio Napos“ in den Amazonas und zu der peruanischen Großstadt „Iquitos“, mitten im Herzen des Amazonasregenwaldes. Unsere erste Pause legten wir nach mehreren Stunden an einer kleinen Dschungelsiedlung ein. Absolut idyllisch in einer kleinen Flussmündung lag hier ein uriges, rudimentär ausgestattetes Restaurant. Zum Essen gab es ein merkwürdig aussehendes Fleisch eines hiesigen Dschungeltiers, Reis und Kochbananen. Als ich nachfragte, um welches Tier es sich handle, wurde mir in indigener Sprache ein mir vollkommen unbekanntes Tier genannt. Ich bin mir nicht sicher, aber glaube, dass es sich um etwas wie ein Gürteltier oder ähnliches gehandelt hat. Geschmacklich war es zwischen Schwein und Rind einzuordnen und mit viel Fett und dicker Schwarte versehen. So blieb der Katze, die sich unter meinem Tisch tummelte, allerhand übrig.

Nach der Essenspause fuhren wir weiter Fluss abwärts. Immer wieder stiegen Leute ein oder aus. Meistens wurden sie von einem Einbaum der Einheimischen zum Boot gebracht oder abgeholt. Was mich sehr verwunderte, war wie es die Menschen hier schaffen, unter solchen Bedingungen derart weiße Schuhe und saubere Kleidung zu haben.

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Die Nacht verbrachten wir in „Santa Clothilde“ und brachen um drei Uhr in der Früh des nächsten Tages auf, um zur Mittagszeit in „Iquitos“ anzukommen. In „Mazan“, nahe des Amazonas, mussten wir das Boot verlassen und für eine 15-minütige Fahrt in einen „Tuck Tuck“ umsteigen. Über den Landweg sind es hier nur wenige Kilometer zum Amazonas, wohingegen die Flussfahrt nochmals mehrere Stunden in Anspruch genommen hätte. Ich war genervt, da mir niemand davon erzählt hatte und ich mir sicher war, dass diese extra Tour mich wieder zusätzlich etwas kosten würde.

Im absoluten Stress mussten die Taschen und mein Fahrrad vom Boot genommen werden, da der Kapitän sofort wieder ablegen wollte. Alle waren kurz angebunden und ich kam mir vor wie auf einer Militärübung. Gefühlt zwanzig Leute wollten mir helfen meine Sachen zum „Tuck Tuck“ zu bringen, um dann von mir ein völlig überhöhtes Trinkgeld zu bekommen. Da ich zuvor gewarnt wurde, meine Sachen nicht aus den Augen zu lassen, weil Diebstähle dort an der Tagesordnung seien, bepackte ich mein Fahrrad fokussiert wie ein Wachhund in Windeseile und manövrierte es von der Hafenplattform. In diesem Stress und ohne zu hinterfragen wo es eigentlich genau hin gehen sollte, verlud ich alles aufs „Tuck Tuck“ und setzte mich. Ein maximal 10 Jahre alter Jungen fuhr mich wie ein verrückter entlang schmaler Wege über den Landrücken. Ich hoffte nur, dass der Junge wisse was der tue und mich sicher an den richtigen Ort bringe.  Gute 20 Minuten saß ich angespannt und absolut unbequem nach hinten gedreht um mein Fahrrad festzuhalten auf dem Gefährt. Wir fuhren mit beängstigender Geschwindigkeit durch unzählige Schlaglöcher, sodass mir trotz Anspannung einige Male teilweise das Fahrrad entglitten wäre. Als wir dann irgendwann zum Stehen kamen, war ich total erschöpft, gottfroh endlich zu entspannen und nicht mehr mein Fahrrad halten zu müssen.

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Den Amazonas entlang ging es dann für die letzte halbe Stunde mit einem Speedboot nach „Iquitos“. An dieser Stelle ist der Amazonas mit über 2-3 km Breite noch verhältnismäßig schmal. Für mich war es jedoch gewaltig und beeindruckend das zu sehen. Leider ganz anders als in meinen idyllischen Vorstellungen ist das Wasser vom ganzen Sand braun und trüb und macht daher keinen besonders sauberen Eindruck. Auf den Punkt gebracht, ist der Amazonas „eine gigantische braune Brühe“.

In „Iquitos“ angekommen ging es noch weitaus hektischer als in „Mazan“ zu. Unzählige Menschen tummelten sich am Hafen. Sie drängten, schoben, riefen durcheinander. In dieser Hektik musste ich mein Fahrrad vom Boot holen, erneut mit meinen Taschen bestücken und aufpassen, dass nichts gestohlen wird. Um zur Straße zu gelangen, ging es über mehrere schmale Holzbohlen umständlich zum Hafengebäude. Gerädert und übermüdet von der Bootsfahrt, musste ich in diesem Gedränge mein Fahrrad mit Gepäck über diese Bretter balancieren, ohne dabei ins Wasser zu fallen. Meine linksseitigen Koordinationsschwierigkeiten, gepaart mit meinem schlechten Gleichgewichtsinn machten das zum absolute Drahtseilakt. Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, ging es anschließend eine schmale Hühnerleiter 5 Meter nach Oben. Mit Hilfe von ein paar Leuten klappte aber auch das. Nachträglich ist mir ganz klar, dass es aufgrund der Trockenzeit so umständlich war. Von Trocken- zu Regenzeit schwankt hier der Wasserstand um bis zu 8 Meter.

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Auf der Straße, außerhalb des Hafens, herrschte das völlige Chaos. „Tuck Tucks“, Motorroller und vereinzelt Busse drängten sich entlang der Hauptstraße. So etwas kannte ich bisher nur von Filmen aus Indien. „Iquitos“ ist mit Abstand die größte Stadt im peruanischen Regenwald und liegt wie eine Insel nur durch Schiff oder Flugzeug erreichbar über 500 km Luftlinie entfernt von der nächsten Verkehrsanbindung. Die Stadt befindet sich 150 km flussabwärts des Zusammenflusses der beiden Hauptquellflüsse des Amazonas. Der deutlich längere aber weniger wasserführende „Rio Ucayali“ dessen Zuflüsse bis nach „Machu Pitchu“ reichen, sowie dem kürzeren aber deutlich wasserreicheren „Rio Marañón“, der im Norden Perus nahe der Grenze Ecuadors entspringt.

Durch die kommerzielle Entdeckung von Kautschuk für die Gummiherstellung, wurde „Iquitos“ neben dem brasilianischen „Manaus“ zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Wirtschaftsmetropole. Der Kautschukbaum kam ursprünglich nur im Amazonasregenwald vor, wurde jedoch von den Briten in der Zeit des ersten Weltkrieges nach Südostasien geschmuggelt.  Besonders in Malaysia forcierten sie den Kautschukanbau, da dort deutlich ertragreicher produziert und unter einfacheren Bedingungen geerntet werden konnte. Innerhalb kürzester Zeit war „Iquitos“ für knapp ein halbes Jahrhundert wirtschaftlich bankrott. Erst mit der Entdeckung des Erdöls gewann die Stadt ab 1960 wieder an wirtschaftlicher Bedeutung und wuchs stark an.

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Ein Grund, weshalb ich den Umweg nach „Iquitos“ gemacht hatte, war, den Amazonasregenwald zu besuchen. Von hier aus nahm ich an einer dreitägigen Dschungeltour teil. Es freute mich, dass wir eine kleine Gruppe von nur 5 Personen waren. Noch besser war, dass ich die einzige Person war, die das volle Abenteuer mit Übernachtung tief im Dschungel gebucht hatte. So bekam ich einen privaten Tourguide, der mich zusammen mit seinem 13-jährigen Sohn begleitete. Von einer Lodge in einem Reservat nahe des Amazonas, ca. 2 Stunden von „Iquitos“ entfernt, wanderten wir in den Regenwald zu unserem Übernachtungsplatz. Hier war eine kleine Schutzhütte mit Insektenschutz aufgebaut. Um nicht vom Regen überrascht zu werden, stellte ich mein Innenzelt in der Hütte auf. Da hier Malaria vorherrscht, bevorzugte ich den doppelten Mückenschutz. Vom Nachtlager aus, machten wir uns für eine mehrstündige Dschungelwanderung auf. Zuerst fuhren wir mit einem Ruderboot über ein Sumpfgebiet und kämpften uns danach weiter ins Unterholz vor. Der Guide Julio hatte mit seiner Körpergröße von 1,55 Metern deutliche Vorteile im Vergleich zu mir. Er konnte meist problemlos unter Baumstämmen, Lianen oder Büschen hindurchgehen. Obwohl er mit seiner Machete den Weg freimachte, musste ich mich, mit meinen knapp 2 Metern, häufig umständlich durchschlängeln.

Da es in der Trockenzeit meistens nur nachts einen kurzen Regenschauer gibt, war es verhältnismäßig trocken und extrem heiß. Immerhin waren wir durch die Bäume etwas vor der Sonne geschützt. Dennoch war die Hitze in der Mittagszeit, gepaart mit der hohen Luftfeuchtigkeit, extrem. Ein Vorteil war, dass wir von den Mücken verschont blieben, die in der Regenzeit zur reinsten Plage werden können. Sobald die Sonne unterging fielen die Temperaturen auf sehr angenehme 20°- 25°C. In der Nacht wurde es sogar etwas frisch und die Moskitos kamen heraus. Julio hatte einige Dschungelzigaretten mitgenommen. Bei den Einheimischen ist es Brauch, Zigaretten aus purem Tabak im Dschungel zu rauchen, um böse Geister zu vertreiben und um seinen Geist mit der Natur zu vereinen. Meiner Meinung nach hilft der Rauch einfach nur verdammt gut gegen die unzähligen Mücken, die einen trotz Antimücken-Spray belagerten.

Als wir in der Dunkelheit wieder den Sumpf überqueren mussten, flogen einige ziemlich große Fledermäuse verdächtig nahe über uns. Wahrscheinlich wollten sie uns nur zeigen, dass es ihr Revier war und wir dort nichts zu suchen hatten. Julio, der wie es schien, etwas mit der Angst zu tun bekam, sprach davon, dass an diesem Ort besonders viele böse Geister wären, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an und drängte darauf, diesen Ort schnellstens zu verlassen. Außer den Fledermäusen sahen wir einige ziemlich große Spinnen, Kröten, Vögel und eine riesige weiße Bambusratte. Eigentlich ziemlich wenig im Vergleich zu dem, was wir hören konnten. Aber wer im Dschungel leicht zu entdecken ist, landet schnell auf der Speisekarte des nächsthöheren in der Nahrungskette. Dennoch hätte ich mich gefreut, ein paar Schlangen oder bunte Giftfrösche zu sehen. Am nächsten Tag erzählte mir Julio, dass in diesem Gebiet in der Vergangenheit von Einheimischen gejagt wurde und deshalb schon seit langem viele Tiere dieses Gebiet meiden.

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Nach unserem Frühstück verließen wir das Lager und machten uns auf, in der Hoffnung mehrere Tiere in einem anderen Gebiet zu erspähen. Die Planänderung machte sich bezahlt und wir erblickten unterschiedliche Affen- und Vogelarten. Ziemlich schwer zu erkennen sind beispielsweise die Zwergseidenaffen mit ihrer löwenähnlichen Mähne. Eine der kleinsten Affenarten der Welt. Nahe einer kleinen Siedlung sahen wir eine Wasserratte, die ein enger Verwandter des Capybara ist und auch sprechende Papageien, die lautstark „Buenas“ oder „Hola“ krächzten. Wahrscheinlich haben sie das von den Menschen in der Nähe aufgenommen und adaptiert. Trotz der Warnung vor der Nachtwanderung, dass, das neue Gebiet sehr gefährlich wäre und viele Schlangen dort leben würden, erblickte ich leider auch dieses Mal keine Schlangen oder andere gefährliche Tiere.

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Der letzte Tag war mein absoluter Höhepunkt. Diesmal ging es nicht tief in den Regenwald, sondern zu einer Affenrettungsstation. Hier bewegten sich die Affen vollkommen frei. Da sie gefüttert und gut behandelt werden, bleiben sie freiwillig an diesem Ort oder kommen immer wieder zurück. Sobald wir auf das Gelände liefen, kamen sie von den Bäumen herunter und begrüßten uns. Der Anführer, ein recht großes Männchen, sprang mir direkt auf die Schulter und machte es sich auf mir bequem. Andere Affen wollten nur kuscheln oder wild spielen. Auf dem Gelände gab es auch einen Hundewelpen, der mit einem Affen kämpfte. Als ich mich dazu gesellte, beteiligte sich auch der Anführer der Affen an der Rangelei. Immer weiter und wilder spielte sich das Männchen in Rage. Als würde es seine Grenzen nicht kennen, wurde es immer gewalttätiger, sodass der Welpe flüchtete. Das Männchen wollte mir andauernd ins Knie beißen und wurde bei jedem Mal, als ich es davon abhielt, aggressiver. Zum Schluss kam einer der Angestellten und vertrieb ihn mit einem Stock. Nach ein paar Minuten hatte es sich beruhigt und war wieder zutraulich.

Auf dem Weg zu einer Kanutour, bei der wir einen Einheimischen beim Piranha fischen beobachteten, besuchten wir noch eine weitere Tierrettungsstation. Neben allen möglichen einheimischen Tieren waren für mich vor allem die Faultiere mit ihrem freundlichen Gesicht faszinierend. Wenn sie sich bewegen, dann nur sehr langsam aber essen können sie in einer ziemlichen Geschwindigkeit.

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Nach zwei Nächten und drei Tagen war das Dschungelabenteuer leider schon wieder vorüber. Ich hätte aber Lust und Ideen für eine zukünftige Tour.

An meinem letzten Tag in „Iquitos“ besuchte ich den „Belen-Mercado“. Im ärmeren und stark heruntergekommenen Stadtteil Belen gibt es einen riesigen Markt. Hier findet man neben den klassischen Marktprodukten alle möglichen exotischen Besonderheiten aus dem Dschungel zu kaufen. Alligatoren-Schädel, -Fleisch, exotische Fische, Schildkröten, Dschungelpflanzen etc.. Unangenehme Gerüche und teilweise ziemlich eklige Bedingungen prägen das Bild des Marktes.

Der Marktbesuch, der mit seinen verschiedenen Einflüssen für den unvorbereiteten Touristen schnell zum absoluten Kulturschock werden kann, war einerseits total faszinierend, andererseits auch ziemlich erschreckend. Der Schmutz und vor allem der Müll waren für mich belastend. In diesen Bedingungen leben die Menschen hier in heruntergekommenen und abgewrackten Behausungen. Bergeweise wird der Müll einfach in den Fluss geworfen. Das war für mich sehr traurig anzusehen. Obwohl ich mittlerweile schon einiges gesehen und erlebt hatte, war ich nach diesen extremen Erlebnissen wirklich froh, mich wieder auf mein Fahrrad zu setzen und die Ruhe genießen zu können.

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Der letzte Abschnitt meiner Amazonasreise ging zweieinhalb Tage und 1200 km flussaufwärts über den „Rio Ucayali“ nach „Pucallpa“. Von „Iquitos“ fahren regelmäßig mehrmals wöchentlich große Fähren nach „Pucallpa“. Am Nachmittag traf ich am Hafen ein und konnte mein Fahrrad mit meinen Taschen problemlos auf der Personenfähre unterbringen. Glücklicherweise war das Schiff nicht einmal zur Hälfte ausgebucht, sodass ich mehrere Sitzbänke für mich hatte. Kurz nach dem Betreten lernte ich Santiago, einen 25-jährigen Reisenden aus Ecuador kennen, den es nach über eineinhalb Monaten in „Iquitos“ auch weiterzog. Ähnlich wie ich, fand er die Stadt einerseits faszinierend aber andererseits auch hektisch und mit einer nicht so positiven Energie, verbunden. Als die letzten Personen das Schiff betreten hatten, wurde eine Musikanlage aufgestellt und ganz laut aufgedreht. Mit peruanischer Partymusik und einigen Hits der 80er verließen wir „Iquitos“. Die Schifffahrt war verhältnismäßig luxuriös. Wir bekamen drei Mahlzeiten und eine Bar mit Getränken war an Bord. Toiletten und Waschmöglichkeiten gab es zwar genügend, aber der Geruch und das braune Wasser des Amazonas machte keinen so hygienischen Eindruck. Das extremste war aber definitiv der Motor des Schiffes. Ein riesengroßer Schiffsdiesel, für jeden Gast komplett offen zugänglich, dröhnte in voller Lautstärke. Der Lärm war so stark, dass eine Unterhaltung auf dem Oberdeck kaum möglich war und auch die lautstarke Musik vom Vorderdeck, nicht mehr wahrzunehmen.

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Einige Passagiere hatte ihre Hunde dabei und schienen sich nicht wirklich um ihre Tiere zu kümmern, die natürlich auch irgendwann einmal ihre Notdurft verrichten mussten. Hühner, Küken und sogar ein Hahn, der ab 4 Uhr in der Früh zu krähen begann, waren weitere Mitreisende. Der beste Platz war definitiv das Dach des Schiffes. Leider brannte ab 10 Uhr morgens die Sonne so stark herunter, dass es unerträglich heiß war, sodass man ins schwülheiße Passagierdeck musste. Morgens oder abends war es jedoch schön, bei einer frischen Brise den Sonnen auf- oder -untergang mit zu verfolgen. Am zweiten Tag unserer Tour trafen wir auf eine mindestens dreifach so große Fähre wie die unsere, die auf Grund gelaufen war. Über eine Stunde versuchte der Kapitän unseres Schiffes das andere Boot aus den Untiefen zu befreien. Das war ein Highlight für alle Passagiere, die interessiert dieses Spektakel betrachteten.

Santiago, der sich seine Reise durch Straßenmusik oder den Verkauf von selbst gemachtem Schmuck finanzierte, nutze die Fahrt um weitere seiner Halsketten und Ringe zu fertigen. Stolz zeigte ich ihm meinen Alligator Zahn, den ich in „Iquitos“ gefunden hatte und fragte, ob er eine Idee für eine Kette habe. Er fertigte mir eine schmuckvolle Aufhängung für den Zahn.

Nach zweieinhalb Tagen kamen wir in „Pucallpa“, im Zentrum Perus an.

Von hier aus machte ich mich wieder mit dem Fahrrad auf meinen weiteren Weg.

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So geht es weiter!

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