Auténtico México

Von Barra de Navidad bis nach Mexiko City

6.Etappe 13.01.23 – 22.01.23 650 km 6.000 M ↑ 3.500 M↓, 42 h

IMG 20230113 080733 minNach 3 wunderschönen … ich meine doch, unfassbar anstrengenden Tagen auf der Serenity, ging es für mich weiter aufs mexikanische Festland. Nach so viel Erholung und entspannten Tagen auf dem Schiff und in Barra de Navidad bei denen ich mit der Crew der Serenity die tropischen Strände genoss und mit dem Stand Up Paddel Board die Umgebung erkundete, war das Fahrradfahren wieder eine Umstellung. Ich freute mich aber auf das Neue und Unbekannte und nach wenigen Kilometern kam ich wieder in meinen Rhythmus, hatte gleich wieder nette Begegnungen mit Einheimischen und war wieder voll in meinem Flow.

Durch die tropische Hitze ging es durch Bananenplantagen zuerst ein Stück entlang der Küste. Nach wenigen Kilometern führte mein Weg weg von der Küste ins Landesinnere und nach ein paar Stunden war ich bereits über 1500 Meter bergauf gefahren. Das Klima war nun nicht mehr tropisch schwül-heiß und sobald die Sonne unterging, wurde es schnell frisch. Die Menschen wurden jedoch gefühlt immer aufgeschlossener und herzlicher. Teilweise musste ich schon Einladungen ausschlagen, da ich erst wenige Minuten zuvor zum Essen eingeladen worden war. Mir wurde Wasser, Lebensmittel oder sogar Geld geschenkt, weil sich die Einheimischen sorgten und nicht wollten, dass ich in meinem Zelt übernachten muss. Menschen, die nur wenig besaßen, teilten das Wenige was sie hatten, mit mir.

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Die ersten Tage fuhr ich viel weniger, als ich es mir eigentlich vorgenommen hatte, bereute es aber keineswegs, da ich eine so herzliche mexikanische Gastfreundschaft erleben durfte.

In Guadalajara durfte ich mehrere Tage bei Louis, einem Polizisten, seiner Mutter (die mich wie ihren eigenen Enkel behandelte) und Louis Ehemann Ricardo der aus den USA nach Mexico ausgewandert war, wohnen. Die schöne Altstadt Guadalajaras stand auf meinem Programm und zudem noch einige Termine mit den lokalen Medien. Nach den etwas enttäuschenden Rückmeldungen der Medien oder Kliniken in den USA war ich nicht auf das gigantische Medieninteresse Mexicos gefasst. Nach meinem Interview bei Radio Formula Jalisco (Mexicos zweitgrößte Rundfunkanstalt nach der Hauptstadt) wurde ich am nächsten Tag zum Fernsehsender Quiero TV für ein Liveinterview eingeladen. Ich fuhr etwas nervös und unbedarft mit meinem Rad zum Fernsehsender und war gespannt, was auf mich zukommen würde. Liborio einer der Moderatoren mit denen ich im Kontakt stand, sagte mir mit der mexikanischen Lockerheit, dass es völlig ausreiche, wenn ich 5 Minuten vor der Liveschaltung komme und sich der Rest dann ergeben werde. Meine deutsche Mentalität an Termine heran zu gehen, war damit etwas überfordert. Ich hatte ja überhaupt keine Vorstellung was auf mich zukommen würde. Noch auf dem Weg zum Fernsehstudio schrieb mir Liborio, ob es möglich wäre, dass ich mit dem Fahrrad und kompletter Montur zu dem Interview kommen könnte. Jetzt war ich froh, dass ich schon alles soweit vorbereitet hatte. Denn hier wäre ich mit der flexiblen mexikanischen Art an meine Grenzen gestoßen.

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Am Fernsehstudio angekommen stand ich dann mit voller Montur etwas hilflos zwischen all den Kameraleuten und beobachtete wie Liborio und seine Kollegin eine bekannte Designerin interviewten. Als ich fragte, wann ich dran käme schien keiner wirklich zu wissen, wann ich an der Reihe wäre, geschweige denn, wann für mich ein Zeitfenster vorgesehen wäre. Also durfte ich weiterhin flexibel bleiben und mich überraschen lassen. Eine Minute bevor mein Interview starten sollte, kam ein junger Moderater, der mich sehr nett begrüßte und das Interview übersetzten wollte. Dann bekam ich ein Mikrofon angesteckt und sollte mich bereithalten, da sie gleich darauf ein weiteres Interview hätten. Ich hatte keine Ahnung was nun genau auf mich zukommen würde, hoffte bloß, dass ich genügend Zeit bekommen würde, damit ich meine eigentliche Botschaft meiner Tour unterbringen könnte. Schließlich wurde ich auf die Bühne gebeten und am Ende hatte ich ein 15-minütiges Liveinterview. Auch nachdem die Kameras abgeschaltet waren, unterhielt ich mich noch länger mit den Moderatoren, denn das geplante Anschlussinterview fiel aus und so hat meine Geschichte den Vorrang bekommen .

Hier siehst du das Interview: https://www.youtube.com/watch?v=n0Tmka9xXDk&t=551s

Am Ende war ich echt stolz, dass mein erstes großes Fernsehinterview und dann noch in einer fremden Sprache so gut lief und sehr gut ankam. Zudem freute es mich, dass meiner Geschichte und dem Thema Krebs, so viel Bedeutung eingeräumt wurden.

Außer den Medienterminen hatte ich noch eine wunderbare Begegnung, die mich sehr berührte.

Auf dem Weg zu meinem Fernsehtermin traf ich einen älteren Mann, der sehr interessiert war, was ich mit meinem vollbepackten Fahrrad vorhätte. Ich erzählte ihm von meiner Tour und von meiner Geschichte.

Der Mann starrte mich an und seine Augen wurden immer glasiger, bis ihm einige Tränen entglitten. Mit belegter Stimme erzählte er mir von seiner Ehefrau, die wenige Jahre zuvor an Krebs verstorben sei. Beim Erzählen seiner Geschichte wurde er immer emotionaler und brach zum Schluss auf seinen Knien zusammen. Dann stand er auf, schaute mir gefühlt minutenlang in die Augen und umarmte mich schließlich. Er sagte mir, dass er so berührt und dankbar für unsere Begegnung sei, sodass mir letztendlich auch die Tränen kamen.

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Wenn mich jemand fragt warum ich diese Tour mache und meine Geschichte mit der Öffentlichkeit teile, dann genau aus diesem Grund! Noch vor wenigen Jahren hätte ich es nie für möglich gehalten, durch meine Geschichte so vielen Menschen Mut zu machen und Hoffnung zu geben. Dass Menschen zu Tränen gerührt sind und sichtlich mit einem riesigen Strahlen und voller Zuversicht aus unseren Gesprächen hervorgehen, berührt mich und freut mich sehr!

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Nach wunderschönen Tagen in Guadalajara hieß es dann wieder Abschied von Luis und seiner Familie zu nehmen und meine Tour fortzusetzen. Es ging raus aus der Stadt zum Lago de Chapala, dem größten See Mexikos. Die Fahrt aus der 6 Mio. Einwohnerstadt war schrecklich und extrem stressig. Ich habe selten so geschimpft, wie an diesem Tag. An solchen Tagen kann ich das Fahrradfahren echt verfluchen. Am Abend entschädigte mich dann der Sonnenuntergang über dem See für die Strapazen des Tages.

Leider habe ich mir nicht frühzeitig Gedanken über einen geeigneten Schlafplatz gemacht, sodass ich mitten in der Dunkelheit nach einem Zeltplatz suchen musste. Da dort alles Privatgelände ist, waren alle Wiesen am See abgezäunt. Irgendwann wollte ich einfach irgendwo mein Zelt aufschlagen. Auch bei dem Gedanken alleine durch die Dunkelheit zu fahren, fühlte ich mich unwohl. Ich kam an einer abgezäunten Wiese weit entfernt von Häusern an, öffnete den Zaun umständlich und schloss ihn wieder hinter mir, in der Hoffnung, dass niemand feststellen würde, dass ich hier eingebrochen war.

Um möglichst unbemerkt zu bleiben, versuchte ich trotz absoluter Dunkelheit meine Stirnlampe nicht zu verwenden. Auf einmal bemerkte ich um mich herum Geräusche, konnte jedoch nicht zuordnen was es war. So entschied ich mich für einen Moment meine Stirnlampe einzuschalten und stellte fest, dass ich mitten in einer Kuhweide stand. Ich leuchtete noch etwas länger, als ein Mann auf einem Pferd aus der Dunkelheit auf mich zu ritt. Mit dem Gewehr in der Hand schaute er mich ziemlich grimmig an. Mir rutschte das Herz in die Hose und die wenigen Brocken Spanisch, die ich bisher gelernt hatte, wollten mir nicht mehr einfallen.

Mithilfe des Google Übersetzers entschuldigte ich mich mehrfach und erklärte ihm, dass ich nur deshalb eingedrungen wäre, weil es in der Dunkelheit für mich zu gefährlich sei und ich mir einen sicheren Schlafplatz suchen wollte. Dies schien dem Mann schlüssig und er sagte, dass es in dieser Ecke tatsächlich sehr gefährlich sei und ich mein Zelt ausnahmsweise auf seiner Weide aufstellen dürfe. Puh! Nochmal alles gut gegangen!

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Am nächsten Morgen machte ich mich mit dem Sonnenaufgang auf den Weg und fuhr auf kleinen Wegen entlang des Lago de Chapala. Es ging durch arme Bauernsiedlungen in denen Esel noch als Standard Fortbewegungs- und Lastentransportmittel gehalten wurden. Nur wenige hatte wahrscheinlich das Geld für ein Motorrad oder einen Pick Up Truck. Das war das Mexico, wie ich es mir aus alten Zeiten vorgestellt hatte. Die Menschen waren auf der Straße vor ihren Häusern, winkten mir zu und die Kinder versuchten mit mir auf dem Fahrrad um die Wette zu laufen.

An diesem Tag traf ich auch auf eine französische Familie, die mit ihren drei Kindern (12, 10 und 5 Jahre) auf den Fahrrädern durch Mexico und Zentralamerika unterwegs waren. Die kleinste Tochter strampelte, am Fahrrad des Vaters befestigt, fleißig mit. Ich fand es ziemlich beeindruckend, wie die Familie das meisterte und mit welcher Begeisterung die Kinder unterwegs waren.

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Um dem Verkehrschaos Mexiko-Stadt‘s zu entgehen, entschloss ich mich den Bus in die Stadt zu nehmen, was sich als gute Entscheidung herausstellte. Letzten Endes soll mir die Tour Spaß machen und ich möchte vor allem sicher am nächsten Ort ankommen.

Mexiko-Stadt oder wie es auf Spanisch heißt Ciudad de Mexico, war für mich eine der faszinierendsten Städte, die ich bisher besucht habe. Nicht nur allein die enorme Größe von fast 23 Mio. Einwohnern macht Mexiko-Stadt zur größten Stadt beider amerikanischen Kontinente. Die Stadt besitzt eine solche Vielfalt, Geschichte und Internationalität, dass es einem nicht langweilig wird. Zudem fand ich die Stadt verhältnismäßig sauber und geordnet. Obwohl ich kein großer Fan von großen Städten bin, habe ich mich hier nicht von den Menschenmassen überfordert gefühlt. Und ob ihrs glaubt oder nicht, die Stadt ist sogar recht gut mit dem Fahrrad befahrbar.

In Mexico Stadt wurde ich von Antonio in Empfang genommen, den ich über die Klinik Oncotec, in der Zeit in La Paz kennengelernt hatte. Antonio führte mich durch das Zentrum, zeigte mir die historischen Gebäude und gab mir eine Privatführung im Franz-Mayer-Museum, in dem er vor einigen Jahren gearbeitet hatte. Für mich war vor allem der Plaza de la Concitutión oder umgangssprachlich kurz Zócalo sehr beeindruckend. Hier wurde 2015 für den James Bond Film „Spectre“ die Anfangsszene gedreht.

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Neben der Stadtbesichtigung begleitete mich Antonio auch in eine Herberge für Krebspatienten. Diese Alberguen werden meist privat geleitet und finanzieren sich zum Großteil durch Spendengelder. Sie sind für Menschen, denen die finanziellen Mittel für eine teure Krebsbehandlung fehlen. In diesen Alberguen kommen Menschen aus ganz Mexiko und können in der Zeit ihrer Behandlung wohnen und werden versorgt. Weitaus wichtiger ist jedoch, dass sie sich mit anderen Patienten, die ein ähnliches Schicksal haben, austauschen können, Halt und eine Gemeinschaft finden. Rafael, der Mann mit mir auf dem Foto, hatte bis zu seiner ersten Operation einen Friseursalon, den er jedoch aufgrund seiner Verfassung schließen musste. Wahrscheinlich hat er nicht mehr, als ein Jahr zu leben. Eine Woche nach meinem Besuch der Albergue bekam ich die Nachricht, dass Rafaels Bein, aufgrund des Krebses, abgenommen werden musste. Ich hoffe jedoch, dass es ihm, den Umständen entsprechend, gut geht.

Aber von Traurigkeit und Aufgeben war bei ihm zum Zeitpunkt meines Besuchs keine Spur zu sehen. Natürlich sind einige Patienten, die aktuell therapiert werden und aufgrund von Operationen und Medikamenten unglaublich geschwächt sind, erschüttert und am Boden zerstört. Jedoch erzählten mir die Patienten, dass ihnen dieser Ort bei der Genesung hilft und sie alle unfassbar dankbar sind. Denn dieser Raum und die Gemeinschaft gäbe ihnen unheimlich viel Halt. Sie sind dankbar am Leben zu sein und wollen jeden Tag so gut nutzen, wie sie können. Rafael sagte mir, dass er sich keine Gedanken macht, was in einem Jahr passieren wird. Solange er die Energie hat, versucht er in der Herberge mitzuarbeiten und jeden Tag sein Bestes geben.

Ich bin dankbar für die Möglichkeit diesen Einblick bekommen zu haben und von den Menschen dort zu lernen und mich von ihrer Energie anstecken zu lassen.

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Die Woche in Mexiko-Stadt verbrachte ich bei Marco Lopategui. Er ist ein sehr guter Freund von Antonio und Professor für internationale Zusammenarbeit an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. Zukünftige Diplomaten und Politiker besuchen seine Vorlesungen. Zudem ist Marco, der wohl am besten vernetzte Mensch, den ich kenne.

Mein persönliches Highlight war, dass ich vor Marcos Studenten einen Motivationsvortrag halten durfte. Marco nahm mich mit zur Uni und überließ mir die Auftaktveranstaltung des neuen Semesters. Obwohl es recht spontan war und ich mir nur ein paar Notizen gemacht hatte, war es ein voller Erfolg und hat mir unfassbar viel Spaß gemacht. Vor allem freute mich riesig, welche Wirkung mein Vortrag bei den Studenten hinterlassen hat.

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Ein weiteres Highlight war definitiv das Fernsehinterview von TV Azteca, welches zwei Tage später in den Nationalen Nachrichten Mexikos ausgestrahlt wurde.

YouTube Link: https://www.youtube.com/watch?v=_bjtZib5h2Y

An meinem vorletzten Abend in Mexiko-Stadt wurde ich auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Jonas, den ich über einen gemeinsamen Freund aus Deutschland erst auf seiner Geburtstagsparty kennen lernte, empfing mich wie einen langjährigen Freund. Der krönende Abschluss war das berühmt berüchtigte Piñata schlagen, bei dem ein mit Süßigkeiten gefülltes Pappmasche-Pferd, die Piñata, zerstört wird bis alle Süßigkeiten herausfallen.

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