3 Tage durch den Yosemite Nationalpark mit David

Es wirds abenteuerlich und erkenntnisreich!

In diesem Blogbeitrag erzähle ich nicht nur über mein Aenteuer, dass ich mit David auf unserer dreitägigen Wanderung durch den Yosemite Nationalpark, erleben durfte, sondern auch über meine Learnings und Erkenntnisse, die ich dabei gewonnen habe mit einem anderen Hirntumorpatienten so intensiv Zeit zu verbringen.

Nach San Francisco ging es für mich weiter nach Santa Cruz. Dort habe ich schon seit mehreren Monaten den Kontakt zu David geknüpft. David ist wie ich ein ehemaliger Hirntumorpatient, der jedoch immer noch deutliche motorische und mentale Einschränkungen von seinen Operationen aufweist. Anders als bei mir ist ihm seine Behinderung stark anzusehen. Dennoch lässt auch er den Kopf nicht hängen und kämpfte sich so gut es ihm möglich war zurück ins Leben. So lernte er erst mit 13 Jahren lesen und schreiben und hat sich bis zu seinem jetzigen 28 Lebensjahr stark weiterentwickelt und studiert per Fernstudium. Auch wenn er für viele Bereiche eine Unterstützung hat, die ihm bei täglichen Aufgaben hilft, verfolgt David seine Ziele und lässt sich nicht unterkriegen. Interessant für mich war, dass ich alle Einschränkungen die David hatte zu 100% nachvollziehen kann, da ich diese auch hatte und teilweise noch habe. Meine Einschränkungen sind zwar um ein Vielfaches geringer und für außenstehende kaum wahrnehmbar aber dennoch vorhanden.

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Ein riesen Learning für mich, war die drei tägige Wanderung im Yosemite Nationalpark mit David. Auf dieser Tour lernte ich nicht nur die beeindruckende Natur des Nationalparks, sondern auch mich selbst besser kennen. Auch wenn David zehnmal stärkere Einschränkungen hat als ich, sind mir durch ihn viele Sachen bewusst geworden und aufgefallen, die der Hirntumor und die OP auch bei mir verursacht haben. Mir wurde bewusst, dass ich in der Vergangenheit vieles als selbstverständlich hinnahm, oft wenig achtsam mit mir umging und sehr viel von mir erwartet habe. Jetzt habe ich erkannt, dass ich kognitiv beispielsweise mehr Zeit für viele Dinge brauche und auch körperlich einfach gewisse Einschränkungen da sind. Es fällt mir jetzt leichter als in der Vergangenheit, das zu akzeptieren und ich merke, dass ich sanfter und geduldiger mit mir umgehen darf und mich nicht ständig ans Limit bringen muss. Gleichzeitig bin ich dankbar zu sehen, wie gut es mir geht und wie gut ich es geschafft habe mich zurück ins Leben zu kämpfen. Darauf bin ich sehr stolz und doch sehe ich, dass ich oft zu viel gemacht habe und mich teilweise total überfordert habe. Neben diesen Erkenntnissen durfte ich auf der Wanderung noch eine andere tolle neue Erfahrung machen. Und zwar, für David, der gleich zu Beginn an seine Grenzen und darüber hinaus gegangen ist, da zu sein. Mein Ego mal ganz hinten anzustellen, langsam zu laufen und nur noch auf ihn und darauf zu achten, dass wir beide heil wieder unten ankommen.

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Neben meinen Erfahrungen und Learnings auf der Tour, war die Wanderung mit David auch sehr lustig und abenteuerlich. Da an diesem Morgen einiges ungeplante dazwischenkam und deutlich länger dauerte, als gedacht, kamen wir deutlich später im Yosemite Valley an. Dort mussten wir noch unsere Parklizenzen, die Bärenkanister für das Essen und weiteres organisieren, sodass unsere drei tägige Rundwanderung gegenüber des berühmten Half Domes erst um 13 Uhr startete. Wichtig zu erwähnen ist, dass im Park außerhalb des Yosemite Valleys mitten in der Wildnis abseits der Wege gecampt wird und uns der Park Ranger genau erklärte, wo und wo wir definitiv nicht unsere Zelte aufschlagen dürften. Etwas besorgt, ob wir unseren ersten Schlafplatz noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würden, wanderten wir los. David bestand darauf alles selber zu machen und kam unter dem Gewicht des großen Rucksacks immer wieder ins Schwanken. Um ihn zu Unterstützen lief ich direkt hinter ihm und konnte seine Arm greifen falls er wieder schier zu stützen schien.

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Die ersten Kilometer waren ziemlich eben und konnten schnell absolviert werden. Als wir an der Wegabzweigung ankamen, an der es über 1000 Höhenmeter bergauf ging, schaute ich auf die Uhr. Wir hatten noch 4 ½ Stunden bis die Sonne unterging. Das schaffen wir schon, wenn ich David ein wenig helfe und eventuell seinen Rucksack einen Teil des Weges trage, dachte ich mir. Im Hinterkopf waren mir ständig die Worte des Rangers geblieben: Auf keinen Fall, aber auf gar keinen Fall dürften wir am Abhang campieren, da sich in diesem Gebiet gerne Bären aufhalten, die schon mehrere der Bärenkanister den Abhang runtergestoßen haben um an die Lebensmittel zu gelangen. Er meinte auch, dass die Bären wie große Waschbären seinen, die es in aller erster Hinsicht auf das Essen der Wanderer abgesehen haben und wir aufpassen sollen das sie das nicht schaffen. Wenn ein Bär kommt sollen wir laut rufen und die Tiere laufen dann meist von selbst davon. Für mich war klar, dass wir diese 1000 Höhenmeter heute überwinden müssen, um dann die Zelte an einer sicheren Stelle aufzuschlagen.

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Nachdem der Weg nach wenigen Windungen deutlich steiler, schmaler und felsiger wurde, musste David sich unheimlich konzentrieren, um einen Schritt nach den anderen zu setzen und gefühlt nach jeder zweiten Kurve eine Pause zu machen. Da wir unheimlich langsam vorankamen, versuchte ich David so gut wie möglich zu motivieren und nahm ihm für eine längere Zeit seinen Rucksack ab. Auf halben Weg nach Bergauf, fing die Sonne an unterzugehen. Mit Stirnlampen bewaffnet stapften wir weiter. David war unheimlich erschöpft und mir war klar, dass wir es sicher nicht mehr bis auf die Hochebene schaffen würden. Da der Weg sehr schmal und steil war suchten wir in der Dunkelheit noch nach einem einigermaßen brauchbaren Abschnitt auf dem wir übernachten konnten. Irgendwann hatten wir einen etwas breiteren und weniger steilen Bereich erreicht, als David komplett erschöpft und schnaufend meinte, dass er so Müde sei und keinen Meter mehr laufen könne. So lange wie er häufig für vieles braucht, so schnell war er diesmal, rollte seine Isomatte aus und ging, ohne die Schuhe auszuziehen, direkt in seinen Schlafsack. Innerhalb von Sekunden war David eingeschlafen. Ich war von unserem abschüssigen Schlafplatz nicht wirklich begeistert und klemmte die Bärenkanister wenige Meter entfernt in eine Felsspalte und begrub diese unter Felsbrocken, die ich finden konnte.

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Zurück an dem Übernachtungsplatz auf dem schmalen Pfad stellte ich fest, dass es überhaupt keinen Sinn machte mein Zelt aufzubauen. Rechts und links der Isomatte war ein wenig Platz bis einerseits die Felswand oder der Abhang kamen. Damit ich nicht zu weit bergabrutschen konnte legte ich den Rucksack an das Fußende und schlüpfte in den Schlafsack. Ich habe schon mehrmals unter offenem Himmel übernachtet, aber nie mitten auf einem schmalen abschüssigen Bergpfad mitten im Bärengebiet. Wie man sich denken kann, war ich alles andere als entspannt. Hellwach und tausend Gedanken durch den Kopf ziehend hielt ich wache. Diese Nacht war einerseits wunderschön und gleichzeitig unheimlich beängstigend. Wir hatte Vollmond und alles war hell erleuchtet. Wenige Kilometer entfernt auf der anderen Talseite konnte man die Lichter der Kletterer am Half Dom sehen, die mitten in der Felswand ihr Biwak errichteten. Es windete sehr, die Sträucher und Bäume um uns herum raschelten verdächtig. Wolkenformationen zogen auf und verschwanden wieder. Für eine Zeit war der Himmel sternenklar und im nächsten Moment bauten sich große Wolken auf. Regen war jetzt noch das letzte was ich hier gebrauchen konnte. Zudem nahm der Wind zu und zu dem Geraschel der Büsche kamen Tiergeräusche.

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Nur wenige Meter entfernt musste etwas in den Büschen sein. Ich rief laut und machte meine Stirnlampe an. Gleich war das Geräusch verstummt und ich war etwas beruhigter. Bald hörte ich etwas weiter entfernt laute Geräusche und ein paar kleine Steine kamen ins Rutschen. Ich schreckte auf, schaltete erneut die Taschenlampe ein und rief sehr laut. Auch hier war es gleich wieder still. Trotz aller rufe lag David regungslos in seinem Schafsack und schlief. Dieses Spiel wiederholte sich immer wieder bis ich irgendwann unheimlich müde wurde und mich nicht mehr wachhalten konnte. Ich wurde ruhiger, schlief ein und fing an zu träumen. Auf einmal spürte ich etwas an meinen Füßen und erschreckte. Ein Marder, Waschbär oder etwas ähnliches (ich war viel zu Müde um es genau zu erkennen) war an meinem Rucksack und versuchte sich Zugang zu verschaffen. Ich fing an zu strampeln um das Tier wegzutreten und schrie aus vollem Hals. Das Tier war völlig erschrocken, wusste nicht was es machen sollte und urplötzlich stimmte noch Davids Geschrei an. Ich kam zu mir, wachte auf und stellte fest, dass kein Tier an meinem Rucksack war. David und ich schrien wahrscheinlich vollkommen Grundlos wie die Verrückten mitten in der Nacht auf einem steilen Wanderweg abseits von der Zivilisation. Als mit klar wurde wie lächerlich die Situation war, konnte ich mich vor lachen kaum noch halten. Die Vorstellung, dass unser Geschrei bis zu den Kletterern auf der anderen Talseite schallte und diese womöglich dachten, dass etwas Schlimmeres passiert sein könnte obwohl ich nur wild geträumt hatte, war urkomisch.

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Immerhin wurden durch das Geschrei alle Tiere in der näheren Umgebung verscheucht.

Kurz darauf viel David wieder in seinen Tiefschlaf und ich überdauerte die Nacht. Teilweise schlief ich bis ich von lautem Geraschel aufwachte. Am nächsten Morgen machten sich David, vollkommen erholt und ich, total übernächtigt, auf die Beine und setzten die Tour fort. An diesem Abend erreichten wir unseren Schlafplatz sehr früh, sodass wir in Ruhe das Zelt aufbauen und entspannt Abendessen konnten. Ich schlief wie ein Baby.

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Der Abstieg am dritten Tag war nochmal eine Herausforderung für David. Zum Glück gab uns ein Wanderer einen seiner Wanderstöcke und Daniel aus Bayern, mit dem wir uns unterhielten, trug den halben Weg bergab Davids Rucksack. So konnte ich Davids rechten Arm nehmen, um ihn zu unterstützen und wir kamen vor Einbruch der Dunkelheit, sicher im Tal an.

Durch den Kontakt mit David ist mir bewusst geworden, wie wichtig der Austausch mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation ist. Es hilft nicht nur einem selbst, sondern auch den Angehörigen mit der Situation besser umzugehen.

Das hätte ich mir schon viel früher gewünscht.

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Um Erkrankten heute eine bessere Aufklärung zu ermöglichen, mache ich mit meinem Projekt darauf aufmerksam und werbe für die Deutsche Hirntumorhilfe.

 

Mit jeder Spende helft ihr neben der weiteren Erforschung der Krankheit auch dabei Menschen zu informieren und ihnen die Möglichkeit des Austausches zu geben.

 

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Besonders bei David und auch Gesprächen mit anderen Hirntumorpatienten die mittlerweile als nahezu genesen gelten, ist mir stark aufgefallen, dass sich viele in Momenten die sie besonders Herausfordern überhaupt nicht verstanden fühlen. Wenn ich beispielweise in manchen Momenten sage, dass mir etwas besonders schwerfällt, und mich das geistig stark belastet, kommen häufig Äußerungen, wie: „Das fällt aber jedem schwer…“ Ich weiß das es für Menschen ohne solche Einschränkungen unmöglich ist so etwas nachzuvollziehen, welche Anstrengung es für Menschen mit einer Hirnoperation bedeutet, konzentriert zu bleiben, beim Laufen oder Treppensteigen sich auf jeden einzelnen Schritt zu konzentrieren. Da vieles nicht mehr intuitiv, sondern mit geistiger Anstrengung funktioniert, ist man alleine von den alltäglichen Gegebenheiten deutlich erschöpft. Natürlich sind die meisten Menschen am Abend eines langen Tages müde und erschöpft aber bei ihnen kommt dann nicht nochmal die Packung hinzu, wie bei Menschen mit solchen Herausforderungen. Mittlerweile geht es mir schon so gut das mich nur noch wenige Begebenheiten stark anstrengen, dennoch würde ich mir in diesem Fall mehr Mitgefühl und Verständnis wünschen. Es geht weder um Mitleid noch um Anerkennung. Es geht rein um das Verständnis, dass dies für mich (hauptsächlich in der Vergangenheit), so wie für andere mit einer solchen Erkrankung eine extreme Herausforderung ist, enorme Energie und Kraft kostet alltägliche Tätigkeiten zu bewältigen.

 

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